Alois Brandstetter: Stille Nacht! Heilige Nacht! Gemüt, Emotionen und Sentimentalität

Festvortrag zum 40jährigen Bestehen der Stille-Nacht-Gesellschaft am 10. Mai 2012, Salzburg, Erzabtei St. Peter

Alois Brandstetter bei seinem Festvortrag zum 40jährigen Bestehen der Stille-Nacht-Gesellschaft im Gobelinzimmer der Erzabtei St. Peter (Bild: Peter Krackowizer)

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Gemüt, Emotionen und Sentimentalität

Heinrich Böll hat 1952 eine Erzählung, eine Satire geschrieben, die bald auch als Hörspiel gesendet wurde, mit dem Titel "Nicht nur zur Weihnachtszeit". Sie handelt von einer Gemütskranken, der Tante Milla, die sich nicht von ihrem Christbaum trennen kann und beim Abschmücken hysterische Anfälle bekommt. Der Gatte, Onkel Franz, findet den Königsweg der Heilung, indem er sich eine "Tannenbaumtherapie" ausdenkt, die darauf hinausläuft, daß zwei Jahre lang jeden Abend Heiliger Abend gefeiert wird. Leitmotivisch erklingt darum immer das Lied vom Tannenbaum mit seinen "treuen Blättern", der nicht nur zur Sommerzeit sondern auch zur Weihnachtszeit, eigentlich ja Winterzeit, ("nein auch im Winter, wenn es schneit"), grünt...

Alles hat seine Stunde,

heißt es bekanntlich im Buch Kohelet im Alten Testament, der Bibel der Juden: "Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit...eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz...eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden."
Befindet sich Bölls Tante Milla mit ihrem Insistieren auf dem Prolongieren der einen Stimmung, die sich im Lied vom Tannenbaum ausdrückt, im Widerspruch und Gegensatz zu Kohelets Mahnung, die Zeit zu achten, die Jahreszeit, im Winter Winterlieder zu singen und Winterkleidung zu tragen und im Sommer Sommerlieder zu singen und Sommerkleider zu tragen, also immer die entsprechenden, die "anderen Saiten" aufzuziehen? Obwohl die Instrumente natürlich jederzeit alles hergeben, was man auf ihnen spielt, Dur oder Moll. Wie unpassend wäre es, das populärste Weihnachtslied, das sozusagen intimste, das heißt innerlichste Weihnachtslied, eben "Stille Nacht" zur Unzeit, außerhalb der Saison, zu singen. Stille Nacht-Tag und Nacht, tagtäglich? Das zu bewirken und zu bewerkstelligen ist ja auch sicher nicht die Absicht und der Vereinszweck einer "Stille Nacht" - Gesellschaft?

Kairos haben die Griechen den rechten Augenblick genannt..."Rechtes Maß, rechter Ort, günstige Zeit, Vorteil und Nutzen" bietet Wilhelm Gemoll in seinem "Schul- und Handwörterbuch" als Übersetzungen an. "Früher", "seinerzeit" "zu meiner Zeit" hat man, habe ich, um konkret und authentisch zu werden, erwartungsfroh dem Advent oder auch der Fastenzeit oder auch Ostern entgegengesehen und mich innerlich gefreut, wenn ich am 1. Adventsonntag und in der ersten Rorate "Tauet Himmel den Gerechten" mitsingen durfte, "O Haupt voll Blut und Wunden" am 1. Fastensonntag und schließlich, alles übertreffend "Der Heiland ist erstanden" in der Auferstehungsfeier am Karsamstag...

Heute ist die akustische Umwelt durch jede Musik zu jeder Zeit in den Kaufhäusern übel zugerichtet und kontaminiert. Der Geschmack aber verdorben. Ich bitte für meinen Kultur-, meinen Alterspessimismus um Nachsicht!...Mindestens nachdenklich, ja schon traurig macht mich auch jährlich, daß man die Passionslieder, O Haupt voll Blut und Wunden, Deinem Heiland, deinem Lehrer, Tauet Himmel den Gerechten und Der Heiland ist erstanden wie "zu Fleiß" in Kärnten nach jeweils einer anderen Melodie singt, als ich sie von meiner oberösterreichischen Kindheit her kenne und gewohnt bin. Da soll einer heimisch werden!

Wellness purum et durum

Der Mensch neigt generell dazu, und es ist sozusagen eine anthropologische Konstante, daß er das Angenehme, das Wohltuende, das Gemüthafte und "Gemütliche" verlängern und perpetuieren will. Wellness purum et durum... Die Climax als Dauerzustand, der Orgasmus als multiples, als Dauererlebnis. Die Natur spielt es aber leider nicht... Der Höhepunkt heißt mit gutem Recht auch Crisis. Die Natur kann man vermutlich auch mit Viagra nicht dauerhaft überlisten. Die Tristitia post coitum ist ein factum naturale... Wohl gilt, mit Nietzsche gesprochen: "Denn alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit"... Damit operiert und darauf spekuliert ja auch die Wirtschaft und die Werbung, wenn sie schon Anfang November den Advent beginnen, und in den Warenhäusern viel zu früh, also zur Unzeit Weihnachtsmusik erklingen läßt.

Und besonders pervers, das heißt ja eigentlich "verdreht", ist der Osterhase am 1. Fastensonntag... Ein Irrläufer! Ein Verwirrter! Dagegen zu wettern hätte keinen Sinn. Ich habe einmal einen sogenannten geharnischten Leserbrief gegen jene Brauerei geschrieben, die mit Georg Friedrich Händels "Alleluja" aus dem "Messias" als Jubelruf ihr Bier bewirbt... Es hat nicht geholfen.

So wie die große christliche Erziehungswissenschaftlerin Christa Meves mit ihrem sexualpädagogischen Aufruf an die Jugend, die Weihnachtsgeschenke, sprich Sexualität, nicht schon im Advent auszupacken, auch nur begrenzten Erfolg gehabt haben wird... Der Geschlechtstrieb ist stärker als der Papst, hat der verstorbene Christian Wallner, ein Freund aus alten Salzburger Zeiten, einmal geschrieben.

Niedagewesenes bieten?

Im Christian Brandstätter Verlag ist einmal ein Photoband mit Bildern erschienen, auf denen man vor berühmten Gebäuden und Denkmälern Wiens immer eine junge nackte Frau sitzen oder stehen, sich räkeln gesehen hat. Vor dem Christbaum, aber auch auf Gräbern, eine fleischliche und leibliche Nackte neben einem halbnackten Grabengel oder Genius aus Stein... Der Verleger und sein "Übertreibungskünstler" sind davon ausgegangen und haben sich gedacht und auch gesagt: Der Stephansdom ist schön und ein nacktes Mädchen ist schön, wie schön ist dann erst beides zusammen auf einem Bild. Dies ist nur ein kleines Beispiel für die Neigung und Versuchung, das Schöne oder als schön Empfundene zu kumulieren und zu synchronisieren, und dabei Grenzen zu ignorieren oder zu überschreiten.

Heute spricht man im englischen Neusprech gern von topen. Top heißt "Spitze, Ende", topen somit "auf die Spitze treiben", "überbieten". Dabei bleibt buchstäblich manches auf der Strecke und kommt unter die Räder. Es entstehen Kollateralschäden... Vielleicht auch manchmal ein Totalschaden... Der Übertreibungs- oder Überbietungstopos ist freilich schon eine alte, sozusagen ehrwürdige Forderung der alten Poetik, eine Institution. Die Sucht oder der vielleicht auch berechtigte Drang, etwas Neues, Originelles oder Unerhörtes, Niedagewesenes zu bieten, führt oft oder immer in unwegsames Gelände und manchmal sicher auch in den Sumpf der Verstiegenheit.

Früher war vieles besser,

heißt es bei Jürgen Becker im Buch "Ränder", denn früher mußte man nicht immer von "früher" reden... Früher, sage ich einmal, war Weihnachten, wenn "Stille Nacht!" erklang. Und es erklang nur zu Weihnachten. Und es war dieses Lied ein religiöses, ein Kirchenlied, freilich ein ganz besonderes, sozusagen konkurrenzloses. Diese Besonderheit fand in unserer Pichler Dorfkirche schon dadurch sozusagen "beredten" Ausdruck, daß die Melodie, also das Werk des Komponisten, des Arnsdorfer Volksschullehrers, Mesners und Organisten Franz Xaver Gruber von der Orgel ganz leise und zart während der Wandlung in der Mette gespielt wurde, wo sonst und das ganze Jahr über wirklich Stille und Andacht "angesagt" waren. Ich weiß nicht, ob dies auch andernorts der Brauch war oder einem Einfall unseres Pfarrers Ferdinand Hochedlinger zu verdanken war. Das Lied war aber dadurch nicht zu Hintergrundmusik degradiert oder profaniert, sondern im Gegenteil sozusagen "sakralisiert", dem Altarssakrament inhäriert. So wird oder wurde man auch daran erinnert, daß die Heilsgeschichte mit Weihnachten nicht abgeschlossen ist, sondern eigentlich erst beginnt, daß noch der Gründonnerstag mit dem Abendmahl und Ostern und die Auferstehung bevorstehen.

Dies alles hatte seinen "Sitz im Leben". Denn bei aller Ehrfurcht und Andacht und Frömmigkeit, Volksfrömmigkeit, wie es heißt, hatten auf die Mettenbesucher, die Bauern und vor allem die Dienstboten, die Knechte und Mägde der Bauern, ausgeschunden und übermüdet wie sie waren, diese leisen Töne eine erhebende und erbauliche, aber zugleich auch einschläfernde Wirkung. In der Feier der Übernatur forderte die Natur ihr Recht.

"Alles schläft"

heißt es schließlich gleich in der ersten Strophe des Liedtextes von Joseph Mohr, und mancher nahm diese Worte sozusagen wörtlich, sosehr er auch gegen die Müdigkeit ankämpfen wollte? Nicht selten hat auch einer plötzlich in die gefährliche Stille hinein geschnarcht...

Wie man in dem profunden Buch Urs Herzogs "Geistliche Wohlredenheit. Die katholische Barockpredigt", München 1991 lesen kann, war der sogenannte Predigt- oder Kirchenschlaf immer schon ein viel behandeltes Thema. Bekanntlich ist ja bereits in der Apostelgeschichte von einem Jüngling die Rede, der in einem Fenster sitzend einer langen Predigt des Apostels Paulus zuhört, einschläft und hinunterstürzt. Paulus selbst beruhigt die Menschen, nimmt den Jüngling in die Arme und sagt, es ist noch Leben in ihm. Ist es eine Totenerweckung?

In Predigtlehren der Barockzeit aber werden die Priester angehalten, mit den Zuhörern gnädig zu sein, vor allem wird empfohlen, den arbeitenden und ermüdeten Bauern anders und vor allem kürzer zu predigen als einem intellektuellen Publikum in der Stadt. Prokop von Templin zufolge sind auch Leichpredigten möglichst einzuschränken, sei es doch "ein verdrießlich Ding bei solchen Occasionen, wo ohne das alles gar langweilig zugehet, das Volck mit zu langen Predigen auffhalten zu wollen" (Herzog S.23)

Die Stille, die in der Kirche eine sakramentale Tiefe und einen spirituellen Ernst erhält, hat, recht verstanden, auch eine therapeutische und heilsame Wirkung. Man muß nicht nur, nein man darf still werden.

Natürlich hat auch die kirchliche Nachsicht und das Einfühlungsvermögen ihre Grenzen. "Ein Schlaff-Hauß machen auß der Kirch die jenigen, so in währendem Gottesdienste nicht allein schlaffen, sondern mit Fleiß in die Kirch gehen, nur allein, damit sie ein kühles und ruhiges Orth zum schlaffen finden, und nicht so bald möchten auffgemuntert werden" (Edmund Mannincor OSB, zitiert nach Herzog, S.23)

Den mutwilligen Kirchenschlaf

auf die Spitze getrieben hat vielleicht erst die Schwägerin des Sonnenkönigs, Liselotte von der Pfalz. Am 19. März des Jahres 1693 läßt sie brieflich die folgende Eröffnung abgehen: "Ich kann unmöglich predigen hören ohne zu schlafen und eine predig ist ein recht opium für mich. Ich hatte einmal hier einen starken husten und war drei nächte gewesen ohne ein aug zu zu tun, da fiel mir ein, daß ich als in der kirch schlaf, sobald ich predigen oder nonnen singen höre; fuhr deswegen in ein kloster, wo man predigen sollte; die nonnen fungen aber kaum zu singen an, da schlief ich ein und schlief die drei stund über, daß das office wehrte, welches mich ganz wieder erholte..." (Herzog S.23)

Es ist freilich im Barock oft von mehrstündigen Predigten die Rede und von eigenartigen und merkwürdigen Dingen, die sich in den Kirchen ereignen, daß Kinder spielen, Männer mehr auf das weibliche Publikum als die heilige Handlung achten, sogar mit Feldstechern und Fernrohren bewaffnet, oder Hunde in das Gotteshaus mitnehmen, die sich dort oft ungeniert benehmen und sogar "Hochzeit halten"... Manches, was Samuel Pepys, der mit seinem "Tagebuch aus dem London des 17. Jahrhunderts" (Reclam UB 9970) eine wichtige Quelle für dieses Kapitel "Sitz im Leben" ist, berichtet, würde heute nahezu als blasphemisch gelten. Manuel Vicent, ein spanischer Journalist und Schriftsteller, läßt in seinem Roman "Mein Name ist Kain", Salzburg 1991, ins Deutsche übersetzt vom verstorbenen "Austropopper" Georg Danzer, seinen Hund sogar kommunizieren... "Sitz im Leben?" oder eine der üblich gewordenen blasphemischen Provokationen?

Ein Lied von einer befremdlichen Alterität

Freunde der "Stille-Nacht-Gesellschaft", nicht diese Töne, sondern laßt uns andere anstimmen... Wenn ich auch ein wenig vom zwiespältigen Eindruck sprechen möchte, den das Lied textlich als hochsprachliches, spätromantisches Artefakt auf mich als Kind gemacht hat. Für ein oberösterreichisches Bauernkind, einsprachig mundartlich aufgewachsen, ist es schon von einer befremdlichen Alterität.

Allein das "schläft" in der ersten Strophe hat einen großen Abstand zum bairisch-österreichischen schlofd, mit dem unumgelauteten und verdumpften a (o). Aber auch wortschatzmäßig stellt es beträchtliche Anforderungen, man denke nur an das "traute" hochheilige Paar. Traut kennt der Mundartsprecher nur als Verbum, 3. Person Singular, Präsens, Indikativ, Aktiv: Der traut sich was... Aber traut ist ein hochliterarisches, freilich altes und ehrwürdiges Wort für "lieb", "zugetan"... Das "traute Paar" ist auch nicht eigentlich das "getraute" Paar... Traut in diesem Sinn ist uns umgangssprachlich nicht mehr vertraut...

Auch das hold hat ein Mundartsprecher kaum in seinem Repertoire. Ich habe einmal in einem Text meine "volksetymologischen" Mißverständnisse an Hand des Credos, der Sequenz "Von dannen er kommen wird..." dargestellt ("Vom Schnee der vergangenen Jahre"). Warum ausgerechnet von den Tannen und nicht von den Eichen oder Fichten... Auch das wacht hat mich befremdet. Weil es doch nichts mit dem mundartlichen wochten, der Totenwacht, zu tun haben konnte. Wochten aber bedeutet mundartlich "warten". Worauf wartet das hocheilige Paar?...

So könnte man fortfahren. Das wäre aber keine Mängelliste über philologische Defizite, sondern nur ein Hinweis darauf, daß sich der Textdichter, der Hilfspriester Joseph Mohr 1816 ganz im Sinne der Zeit und der romantischen Epoche an hochliterarischen Vorbildern der deutschen Romantik orientiert hat. Es ist außerdem die standardsprachliche, "hochsprachliche" Gestalt, die es leicht übersetzbar gemacht und so auch die weltweite Verbreitung ermöglicht hat. Silent night, holy night...

Dieser Welterfolg

gründet aber sicher mehr und vor allem in der Melodie, dem Werk des Lehrers Franz Xaver Gruber, als in den Versen Joseph Mohrs. Wäre es in Mundart geschrieben worden, hätte es vielleicht auch nur die regionale Bedeutung der Mundartgedichte des im 19. Jahrhundert dichtenden Franz Stelzhamers erreichen können, die freilich poetisch unvergleichlich, aber in ihrer Rezeption notwendigerweise "provinziell" restringiert sind. Nur die Oberösterreicher wissen, was sie am Piesenhamer haben, der ihre Landeshymne, die einzige Österreichs in Mundart, gedichtet hat. Die Melodie ist bekanntlich von Hans Schnopfhagen.

Ein mundartliches Weihnachtslied gibt es immerhin, das äußerst populär geworden ist, wenn es auch nicht gerade mit "Stille Nacht" oder "I am dreaming of a white Christmas" konkurrieren kann:

"Es wird scho glei dumpa",

obwohl es oft in einem Atemzug mit "Stille Nacht" und "Oh du fröhliche" genannt wird. Der Text zu diesem Lied, einer alten Tiroler Melodie, wie es heißt, stammt von Anton Reidinger, einem Pfarrer, 1839, also 21 Jahre nach dem "Stille Nacht"-Jahr 1818, in Krenglbach bei Wels geboren und 1912 in Obernberg am Inn gestorben. Um 1900 hat er den Text des Liedes geschrieben. Krenglbach ist eine Nachbargemeinde von Pichl bei Wels und, nebenbei gesagt, die Heimatgemeinde meiner Mutter, deren Vater, mein Großvater, in der Zwischenkriegszeit dort Bürgermeister war.

Die Krenglbacher haben sich übrigens in letzter Zeit unter der Ägide des 2005 leider verstorbenen Lehrers Rudolf Schrempf und Alfred Herrmüllers auf den "großen Sohn" der Gemeinde Anton Reidinger besonnen und verschiedene Aktivitäten gesetzt, unter anderem einen Art Lehr- und Gedenkpfad für den Dichter des "Es wird scho glei dumpa" eingerichtet und auch Publikationen initiiert. Die Linzer haben außerdem im Brucknerhaus eine jährliche repräsentative Adventveranstaltung, dem Salzburger Adventsingen abgeschaut, die unter dem Titel "Es wird scho glei dumpa" läuft.

Die erste Strophe dieses Liedes wirkt fast wie eine Art Paraphrase zu "Stille Nacht". Es ist auch eine herzinnige Antwort auf das "einsam wacht" des "Stille Nacht": "Drum kim i za Dir he, mein Heiland af d Wacht"? Im Vergleich mit dem unehelich geborenen Joseph Mohr, dem "Aushilfspriester", dem oft versetzten, war Anton Reidinger ein hochangesehener Pfarrer, ein "Pfarrherr", der wenigen größeren Pfarreien vorstand: ab 1876 Riedau, von 1893-1906 Eggerding, danach in Obernberg am Inn, wo er auf Grund seiner Verdienste zum Ehrenbürger ernannt wurde.

"Alte Tiroler Weise" wie man öfter hört, auch im Internet liest, stimmt übrigens nach Auskunft von Alfred Herrmüller, meinem "Geschwisterkind"..., nicht eigentlich. Hier sind Nachforschungen durch Herrmüller im Gang, die dieses Bild auch auf musikalischer Seite und den Satz betreffend zugunsten Reidingers korrigieren und zurechtrücken werden. Reidingers literarisches Hauptthema bei seinen Mundartgedichten war übrigens Weihnachten, er hat auch Verdienste um das Krippenspiel, insbesondere das sogenannte "Bad Ischler Krippenspiel". Msgr. Friedrich Pesendorfer, der Direktor des Katholischen Preßvereins, nennt Reidinger in seinem Buch "Das Domkapitel in Linz (Linz 1929)" den "Sänger der Weihnacht" (Ich beziehe mich hier auf einen Aufsatz von Herrmüller in "Oö.Volksliedwerk" Nr.3 , 2010). Soweit ich sehe, nennt Reidinger in seinen vielen Weihnachtsgedichten aber nirgends expressis verbis das "Stille Nacht" -Lied. Aus Achtung und Scheu vor der übermächtigen Konkurrenz? Kirchenhistorisch ist Linz Salzburg gegenüber natürlich ein Leichtgewicht. Man kann sich hier freilich auf Passau berufen...

Karl Heinrich Waggerl

Salzburg, Advent, Weihnachten, Stille Nacht... In dieser Assoziationskette taucht für mich persönlich unweigerlich der Name Karl Heinrich Waggerls auf, der sein Grab auf dem Wagrainer Friedhof in der Nähe des Grabes von Joseph Mohr gefunden hat, auf welchen Dichterkollegen er ja in mindestens einem Text eine Anspielung gemacht hat.

Mir ist eine liebe Erinnerung an Waggerl geblieben, nämlich an eine Geburtstagsfeier, die der Verleger Wolfgang Schaffler in seinem Haus in der Sinnhubstraße hinter dem Rainberg um den 8. Dezember 1971 ihm, Waggerl, zu Ehren, der am 10. Dezember 1897 geboren ist, und mir zu Ehren, der ich am 5. Dezember 1938 geboren bin, gegeben hat. Waggerl hat mir nicht nur ein Buch gewidmet ("Für Alois Brandstetter zur Erinnerung an einen vergnügten Abend" hat er freundlicherweise in "Ein Mensch wie ich" hineingeschrieben!), sondern auch eine Eintrittskarte für das Adventsingen im Festspielhaus geschenkt, wo ich dann auch, neben Frau Gretl Lanz sitzend, gewesen bin.

Im Hause Lanz in der Steingasse habe ich ihn dann auch besuchen und für einen Aufsatz im "Salzburger Jahr" interviewen dürfen. Dort hat er auch seinen Rückzug aus dem Adventsingen angekündigt und wortwörtlich mit seiner tiefen Stimme zu mir gesagt: "Nächstes Jahr, Brandstetter, lesen Sie!" Gleich morgen wolle er mit dem Tobi Reiser darüber reden. Daraus ist natürlich nichts geworden, nicht nur deshalb, weil Waggerl ja schon sehr vergeßlich, ja schon leicht verwirrt war. Dafür hatte er schon im Gespräch, das wir über Knut Hamsun und die Nähe seines, Waggerls, Romans "Brot" zu "Segen der Erde" von Knut Hamsun geführt hatten, einen "Beweis" geliefert, als er sagte, er wisse nicht, ob Hamsun noch lebe...

Waggerl war, um den Ehrentitel Pesendorfers für Reidinger zu zitieren, Salzburgs "Sänger der Weihnacht", freilich ein widersprüchlicher. Denn im Gegensatz zu den Klerikern Mohr oder Reidinger war der Dichter des "Jahr des Herrn", wie er wiederholt betont hat, ja Atheist und so gesehen ein widersprüchlicher Verkünder einer frohen Botschaft...Im Hinblick auf die Stadt Salzburg war er, der Gasteiner, eigentlich auch ein Zugereister. Er reiht sich als solcher in eine Reihe ein, die, wie Clemens M. Hutter in "Salzburg ein Glücksfall" schreibt: "Mit Ausnahme von Wolfgang Amadeus Mozart, Christian Doppler, dem "Stille Nacht" und der Story für den "Sound of Music" machten konstant Ausländer Salzburg zu dem, was es heute ist - den lieben Gott eingeschlossen. Man erinnert sich auch an das bissige Wort des Karl Kraus: "Hätten die Salzburger Salzburg gebaut, wäre bestenfalls ein Linz daraus geworden."

Das eigentlich Wesentliche an Weihnachten

Keiner soll sich anmaßen, über den Glauben und die Frömmigkeit seiner Mitmenschen apodiktische Urteile zu fällen. Deren Glauben niemand so kennt wie Du... Daß die Weihnachtseuphorie und die Adventveranstaltungen in Salzburg und Linz aber nicht unbedingt Ausdruck einer tiefen Religiosität sind, wird man wohl ungestraft sagen können. Das eigentlich Wesentliche an Weihnachten ist vielen nicht mehr vertraut, so wie sicher nicht alle Linzer wissen werden, was das theologische Programm des gewaltigen "Maria Empfängnis-Domes" meint. Eigentlich ist er ja auch eine Art Weihnachtskirche, freilich keine "Stille Nacht-Kapelle" ... Sein Hochfest ist der nun wieder zum Einkaufstag gewordene 8., nicht der 25. Dezember...

Schließen möchte ich in diesem Sinne mit einer kleinen Belehrung, indem ich etwas Theologisches mitteile oder den Theologen in Erinnerung rufe, auf das ich selbst gerade bei meinen Vorarbeiten über einen Roman über meinen Namenspatron Aloysius von Gonzaga gestoßen bin, und das ich im Buch "Einführung in das Christentum" von Joseph Ratzinger ( Papst Benedikt XVI) erklärt bekommen habe. Aloysius, "Luigi", schreibt in einem seiner letzten Briefe 1590 an seine geliebte Mutter Marta Tana di Santena, die mit ihren sieben Kindern übergroßes Leid erfahren hat (Attentate, Pest etc.). Und er tröstet sie mit dem Hinweis auf Maria, der sie hierin gleiche, die um ihres Sohnes willen, angefangen im Stall von Bethlehem, viel erdulden habe müssen. In einem Punkte habe sie, seine Mutter, der Gottesmutter, der Mater dolorosa, sogar etwas voraus, weil sie siebenmal unter Schmerzen geboren hat, während Maria durch ein "privilegium" eine Geburt ohne Wehen geschenkt worden sei.

Alois Brandstetter


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